Vor ein paar Jahren hatte ich einen Verkehrsunfall mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma. Seitdem bekomme ich Panikattacken, wenn ich eine Maske anziehe. Deshalb habe ich ein Arztzeugnis für eine Maskenbefreiung. Während Corona wurde ich tagtäglich von Menschen in der Gesellschaft schikaniert: an der Migros-Kasse, an der Busstation, in der Bergbahn. Wegen dieser ständigen Angriffe wurde mein Nervenkostüm immer dünner. Leute haben mich böse angeschaut, komische Geräusche gemacht, mich angesprochen, ich solle eine Maske anziehen. Wenn ich nicht reagierte, haben sie mir auf die Schulter geklopft. Sie hatten gar kein Recht, mich zu berühren! Das war sehr, sehr ermüdend.
Nach ein paar Wochen wollte ich nicht mehr allen an der Migros-Kasse, an der Bähnlistation oder an der Bushaltestelle Rede und Antwort stehen. Schlussendlich war ich so weit, dass ich den Leuten jeweils erklärte, dass ich ein Zeugnis habe. Dann forderten sie: «Zeigen Sie es mir!» Normale Bürger haben sich wie Polizisten aufgespielt. Das habe ich sehr oft erlebt. Ich empfand es als Schikane. Ich habe oft versucht, mich zu rechtfertigen und das Zeugnis gezeigt, doch mein Nervenkostüm wurde immer dünner.
Schlussendlich dachte ich mir: Ich probiere etwas Neues aus. Ich hängte mir das Zeugnis in einer Klarsichtfolie um den Hals, damit die Leute es lesen konnten. Wenn mir an der Bähnlistation jemand auf die Schulter klopfte, zeigte ich einfach darauf. Es war verrückt, wie ängstlich, paranoid und kontrollierend alle waren. Es hat mich viel Mut gekostet, für mich einzustehen – einfach aus dem Fenster zu schauen, statt zu reagieren.
Die Politik trägt eine Mitschuld. Wenn sie nicht so feindselig gegenüber Maskenverweigerern gewesen wäre, wären die Menschen nicht auf die Idee gekommen, so widerlich und frech zu sein. Oft haben mich 50- bis 60-Jährige angeschrien, von denen man eigentlich Anstand und Respekt erwarten könnte. Nur von jungen Menschen habe ich Verständnis erfahren. Einmal kamen drei junge Leute auf mich zu und sagten, sie hätten von mir gehört und fanden es gut, dass ich dazu stehe.
Kraft gegeben hat mir mein Glaube an Gott, die tägliche Verbindung. Ich habe daran geglaubt, dass Gott mich beschützt. Auch mein Lebensstil hat mir Kraft gegeben. Sport, Natur, Musik – was ich schon immer mache, ist mir bei Corona zu Gute gekommen. In meinem Leben hat sich nicht viel verändert – ich gehe nicht in Menschenmengen oder auf Partys. Insofern war Corona für mich sogar eine angenehme Erfahrung. Überall hatte ich meine Ruhe. Draussen hatte ich alles für mich allein. Das war angenehm. Ich bin allein Zug und Bus gefahren, während die Empfehlung war, zu Hause zu bleiben. Ich war gerade aus dem Ausland zurückgekommen und erstaunt, dass alle zu Hause blieben, obwohl es nur eine Empfehlung war. Mein Leben draussen in der Natur, mein Sport – all das ging einfach weiter.
Für andere junge Menschen war es viel schwieriger. Sie konnten nicht mehr raus, nicht in den Ausgang. Doch die plötzlichen «Völkerwanderungen» in die Berge zu sehen, war schön! All die jungen Menschen mit Rucksäcken und Schlafsäcken, die sich organisiert haben, um in die Berge zu gehen. Sie wurden geduldet, haben draussen campiert. Das ist doch eine schöne Entwicklung – Wandern statt Computer und Partys. Sie haben sich zu helfen gewusst.
Vermisst habe ich eine Anlaufstelle für Menschen, die aus berechtigten Gründen keine Maske tragen konnten. Ich fühlte mich schikaniert, allein und im Stich gelassen. Ein offenes Ohr hätte ich mir gewünscht – von jemandem, der etwas zu sagen hat und es weiterleiten kann.
Ein Erlebnis hat mich besonders erschüttert: An einer Bergbahnstation gab es einen Mitarbeiter, der mich ständig gesehen hatte. Eines Tages hatte ich mein Zeugnis zu Hause vergessen. Ich sagte ihm: «Sie kennen mich doch!» Doch er bestand darauf, das Zeugnis zu sehen. Wegen starker Knieschmerzen konnte ich nicht zurücklaufen. Es kam zu einer längeren Auseinandersetzung. Schlussendlich gab ich ihm die Nummer meines Hausarztes. Da durfte ich dann plötzlich doch einsteigen. Ich zitterte am ganzen Körper vor Wut und Schmerz, weil ich das als Schikane empfand. Als ich einstieg, schimpfte ich: «Was bist du für ein dummer Mensch? Also war es doch nur eine Frage, ob du mir glaubst!» Da griff er mich körperlich an, packte er mich am Ärmel und wollte mich mit Gewalt aus der Bahn ziehen. Ich konnte ihn wegschieben. Er drohte mir, dass unten die Polizei auf mich warten würde. Und tatsächlich war es so. Ich erklärte der Polizei die Situation und drohte mit einer Anzeige. Die Beamten entschuldigten sich bei mir. Sie waren genervt und meinten, sie hätten für so einen Quatsch eigentlich keine Zeit. Die Polizisten waren nett.
Ich hätte mir in dieser Zeit von der Gesellschaft gewünscht, dass die Menschen einfach bei sich bleiben. Dass niemand das Gefühl hat, vom Staat eine Aufgabe erhalten zu haben. Aber so kam es mir vor – die Leute wurden aufgewiegelt. Ich bin keine Corona-Gegnerin. Das Virus gab es sehr wohl. Aber ich kann keine Maske tragen. Ich möchte nicht von Leuten schikaniert werden, die einfach nur blind folgen! Die Nachrichten und die Politik haben versagt. Sie haben eine Gruppe diskriminiert. Heute wissen wir, dass es nicht so schlimm war und das Maskentragen nicht so zentral. Aber damals taten alle so, als hätten sie die Weisheit mit dem Löffel gefressen.
Ich würde mir wünschen, dass Menschen selbst nachdenken und nicht wie eine Schafsherde hinterherlaufen. Doch ich weiss, die Menschen stecken in ihrem Hamsterrad, arbeiten, haben keine Zeit zu reflektieren. Ich will die Gesellschaft nicht verurteilen. Es ist beabsichtigt, dass Leute in diesem System bleiben. Doch ich wünsche mir, dass der Mensch mehr Zeit für sich hat, um nachzudenken. Wir sind doch alle nur Menschen. Die tun mir fast auch Leid.
Es bräuchte in Krisenzeiten eine Anlaufstelle, wo Ärzte, Psychiater und Pädagogen zusammenarbeiten. Einmal wurde ich im Spital positiv auf Corona getestet. Ich erklärte der Ärztin, dass ich an einem Ort wohne, wo es nur eine Gemeinschaftsdusche im Keller gibt. Ich wollte wissen, wie ich damit umgehen soll. Sie war komplett überfordert und fragte zurück: «Gibt es das denn überhaupt noch?!» Sie meinte, sie wisse auch nicht weiter. Ich war enttäuscht, keine hilfreiche Antwort zu bekommen. Um meine Nachbarinnen und Nachbarn nicht zu beunruhigen, habe ich sie nicht alarmiert – und ging dann einfach duschen.
Dieses Beispiel zeigt, dass die Realität auf die eher reichen Schweizer ausgerichtet war. Es gibt ja auch Institutionen mit Gemeinschaftsräumen – Frauenhäuser zum Beispiel. Dass dieses Wissen fehlt, hat mich erstaunt. Es gibt viele Randgruppen, für die wir in Krisenzeiten mitdenken sollten. Es zeigt auch, dass der Westen sich als Standard sieht – in anderen Ländern sah es ja noch viel schlimmer aus. Eine Anlaufstelle für Menschen, die aus dem System fallen, wäre dringend nötig gewesen.
Dem Durchschnittsschweizer möchte ich mitgeben, dass die Schweiz nicht die Welt ist. Wir sind in der Schweiz sehr verwöhnt, jeder geht von sich selbst aus. Mir fehlte oft das Mitgefühl. Den «Schweizer Bünzli» habe ich sehr gespürt – der enge Blick, der begrenzte Horizont, die Verurteilung von Menschen, die aus dem System fallen, wie Ausländer oder Drogensüchtige. Schweizer haben wenig Empathie für solche Menschen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Produktivität feiert und Verletzlichkeit unterdrückt. Kein Wunder, dass sich so viele Menschen in inneren Konflikten befinden.
Ich wünsche keinem Schweizer ein Schicksal wie meins um Empathie zu lernen – einen Unfall, der vom einen auf den anderen Tag alles verändert. Aber Schweizer urteilen sehr hart, wahrscheinlich weil sie für sich und den Staat hart arbeiten. “Selber Schuld!» “Die gehen nicht arbeiten!”. Dieser Stempel ist hart. Gewissen Menschen geht es einfach zu gut, wenn sie mit dem Finger auf Arbeitslose, auf Verunfallte, auf Ausländer zeigen. Es stimmt einfach nicht, dass sie selber Schuld sind. Es kann jeden treffen.