Ich kann mit Sicherheit sagen, dass ich einer der wenigen war, die sich über den Shutdown wegen Corona gefreut haben. Gleichzeitig hatte ich grosse Sorgen um meine Familie in Iran. Natürlich war diese Krankheit für alle Menschen beängstigend, aber das Erste, worüber ich mir wirklich Gedanken gemacht habe, war meine Familie – und dann diese weltweite Krise.
Für diejenigen, die mit ihrem Partner, ihren Kindern oder ihrer Familie zusammen waren, war der Lockdown nicht so schlimm. Sie hatten sich gegenseitig und konnten aufeinander aufpassen. Aber für Menschen wie mich, die ganz allein waren, fern von der Heimat, war es wirklich schwer.
Ich erinnere mich noch genau: Es war Freitagnachmittag, das Wetter war weder zu kalt noch zu warm, eine leichte Frühlingsjacke hat gereicht. Ich war auf dem Weg nach Stans zu einem Hauskreis bei Andrea, wo wir gemeinsam die Bibel lesen wollten. Im Zug hörte ich einige Leute über Corona und den bevorstehenden Lockdown sprechen. Ich kam mit ihnen ins Gespräch und erfuhr, dass ab dem nächsten Tag alles geschlossen werden sollte.
Als ich bei Andrea ankam, war es genau 19 Uhr. Die anderen kamen etwas später, weil sie noch einkaufen waren. Jeder hatte eine schreckliche Erfahrung beim Einkaufen gemacht. Einer meinte: “Ich habe kein Toilettenpapier mehr gefunden!” Ein anderer sagte: “Die Pasta-Regale waren leer!” Jemand zeigte mir ein Video von komplett geplünderten Supermärkten. Ich dachte mir nur: Wie kann das sein? Ist es wirklich so schlimm?
Noch an diesem Abend entschieden wir, dass unsere zukünftigen Treffen jeden Donnerstag online stattfinden werden. Am Ende des Treffens beteten wir gemeinsam für die Gesundheit unserer Familien, Freunde und aller Menschen auf der Welt. Als wir uns verabschiedeten und uns umarmten, hatte es sich so angefühlt, als würde es keinen Morgen mehr geben. Doch trotzdem gingen wir mit Hoffnung nach Hause.
Zuhause fiel mir auf, dass ich gar nichts eingekauft hatte und keinen Vorrat an Lebensmitteln hatte. Aber dann hörte ich in den Nachrichten, dass die Supermärkte weiterhin geöffnet bleiben. Also ging ich am Samstag einkaufen – mit einem ganz normalen Budget für eine Woche. Doch es stimmte wirklich: Toilettenpapier war nicht mehr zu finden, und die Regale sahen aus wie in einem Hollywood-Katastrophenfilm.
Keiner grüsste mehr den anderen, selbst die Menschen, die man kannte, wichen einem aus, als hätte man die Pest. Die ersten Wochen waren noch in Ordnung. Ich hatte mir einen Plan gemacht, jeden Tag zwei Stunden spazieren zu gehen. Montags spielte ich mit einer Familie online „Stadt, Land, Fluss“.
Aber irgendwann wurde es schwierig. Ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem einen Kaffee trinken zu gehen oder einfach eine Umarmung zur Begrüssung zu bekommen. Sogar meine Freundin sagte: „Ich vermisse meine Eltern“, obwohl sie nur eine Strasse weiter wohnten. Aber jeder hatte sich entschlossen, aus Liebe und Fürsorge für seine Familie auf Distanz zu bleiben.
Für mich war es noch schlimmer, weil meine Familie in Iran war. Mein Vater rief mich alle paar Tage per Videoanruf an. Er verfolgte die Nachrichten genau und sagte immer: „Ich habe Angst, dass dir etwas passiert. Ich höre, dass Italien und Frankreich die höchsten Todeszahlen haben!“ Die iranischen Nachrichten stellten die Situation in der Welt noch viel schlimmer dar und verbreiteten dazu viele Lügen. Ich versuchte meinen Vater zu beruhigen und ihm zu erklären, dass die Lage in der Schweiz nicht so schlimm sei und ich noch niemanden kannte, der an Corona erkrankt war.
Währenddessen gab es in Iran keinen Lockdown, keinen Impfstoff – und die Flüge nach China wurden sogar noch verstärkt. Auf Instagram sah ich jeden Tag, dass Freunde von mir Verwandte wegen Corona verloren: eine Tante ihren Mann und ihren Sohn – alle innerhalb weniger Tage. Aber eine landesweite Quarantäne gab es nicht, und von Impfstoffen war keine Spur. Jedes Mal, wenn mein Handy klingelte und eine iranische Nummer erschien, hatte ich Angst, dranzugehen.
Nach etwa zwei Monaten wurden die Schulen in der Schweiz langsam wieder geöffnet. Aber für Erwachsene galten weiterhin strenge Regeln, wie Abstandsgebote. Ich war lange nicht mit dem Zug gefahren, hörte aber immer wieder, dass die Züge fast leer seien – manchmal nur zwei oder drei Passagiere. Auch Busse waren leer.
Eines Abends ging ich zum Bahnhof Luzern – und es war einfach gespenstisch. Die Läden waren alle geschlossen, kein Mensch war zu sehen. Ich machte ein Video und summte dabei leise vor mich hin: „Gott, ich vermisse die Menschen. Ich vermisse sie alle – sogar die, die ich nicht kenne.“
Dann wurde der Corona-Impfstoff eingeführt. Sofort gab es überall Diskussionen. Manche waren dafür, andere strikt dagegen.
Zu dieser Zeit arbeitete ich in der Buchhaltung eines Hotels. Die meisten meiner Kollegen waren gegen die Impfung. Es machte mich traurig, solche Gespräche zu hören. Ich fragte sie: „Warum seid ihr dagegen?“ Und sie schickten mir Videos von sogenannten Experten, die behaupteten, dass der Impfstoff langsam einen „stillen Tod“ in unseren Körper bringen würde. Manche glaubten, dass es ein Plan sei, um die Menschen zu kontrollieren.
Bald gingen immer mehr Menschen in den Strassen demonstrieren – gegen die Impfung und gegen die Corona-Massnahmen. Ich dachte mir: In Iran und vielen anderen Ländern kämpfen Menschen darum, eine Impfung zu bekommen, aber ihre Regierungen interessieren sich nicht dafür. Tausende Menschen sterben jeden Tag, und in Iran behaupten religiöse Führer sogar im Staatsfernsehen, dass die USA Mikrochips in die Impfstoffe eingebaut haben, um uns fernzusteuern oder unser DNA zu zerstören. Die staatlichen Medien im Iran waren voll von Aberglauben, Lügen und religiöser Propaganda.
Eines Tages, als ich in Luzern war, sah ich wieder eine grosse Demo gegen die Impfpflicht. Ich fühlte mich wirklich traurig. Diese Menschen hier wussten einfach nicht zu schätzen, dass ihre Regierung sich um ihre Gesundheit kümmerte.
Auf der anderen Seite der Welt aber kämpfte mein Vater – mit einer transplantierten Niere – darum, endlich eine Impfung zu bekommen. Meine Mutter mit ihrer Herzkrankheit wartete ebenfalls darauf. In Iran gab es sogar Reiseagenturen, die Impf-Tourismus nach Georgien oder in die Türkei anboten. Viele flogen ins Ausland, nur um sich impfen zu lassen. Und hier in der Schweiz liefen hunderte Menschen auf die Strassen und demonstrierten gegen die Impfung und für die Aufhebung der Massnahmen.