Corona hat mein Leben mehrmals und auf ganz verschiedenen Ebenen so richtig auf den Kopf gestellt. Ich hatte sehr viele Jahre eine erfolgreich laufende Praxis für Physiotherapie in Luzern. Wir hatten während Corona fast durchgehend offen – wir wollten für Notfälle und unsere Schmerzpatienten da sein. Gerade unter den Krebspatienten war die Angst vor einer Ansteckung sehr gross. Entsprechend hatten wir strenge Hygienemassnahmen. Auch behandelten wir, teils junge, Long-Covid Patienten.
Als Team kamen wir relativ gut durch Corona, bis ich mich bei einem Patienten kurz nach der Fasnacht in 2022 infizierte. Die Infektion war eigentlich nicht speziell schlimm. Ich habe meinen Mann angesteckt und wir waren eine Woche zu Hause. Nach drei Tagen habe ich nichts mehr gerochen oder geschmeckt. Das war sehr irritierend und frustrierend, auch weil ich gerne koche und verschiedene Gerüche und Geschmäcker sehr mag. Ich dachte, das wird schon. Es hat schlussendlich fast ein Jahr gedauert, bis ich wieder einigermassen riechen und schmecken konnte.
Nach mehreren Wochen bekam ich allerdings einen sehr starken Husten, der mich vor allem auch in der Nacht plagte. Ich fühlte mich dauererschöpft und hatte eine Matschbirne. Wegen dieses “brain fogs” vergass ich schnell alles und musste mir alles aufschreiben. Ich war so erschöpft, dass ich nur noch 50% arbeiten konnte. Als Selbstständige auf 50% zu gehen, war natürlich gar nicht so einfach. Meine Taggeldversicherung sprang unkompliziert ein, zum Glück. Ich hatte auch tolle Ärzte, die mich sehr unterstützt haben.
Was ich schwieriger fand, war das damalige gesellschaftliche Klima: Auf einmal waren alle Experten und wussten alles besser. Ich musste mir anhören, dass ich mich hätte impfen soll (auch wenn es die Impfung noch gar nicht gab, als ich Corona bekam) und dass ich ja noch sehr fit wäre (dass ich mich den ganzen Tag schonen musste, um mal 20 Minuten rausgehen gehen, wollte man nicht hören oder sehen). Es zehrte zunehmend an meinen Nerven, mein gesamtes Leben runterzufahren, all das nur, um 50 % arbeiten zu können. Und sogar das ging immer schlechter. Nach einer finanziellen Beratung entschied ich mich, ein Jahr früher als geplant die Praxis zu verkaufen. Eine langjährige Mitarbeiterin übernahm sie, ein Glücksfall für mich und meine Patienten. Die kleine IV habe ich, auch als Anerkennung, dass meine Probleme echt sind, sehr geschätzt.
Die ersten Monate nachher war ich nur erschöpft und auch depressiv, ich schlief sehr schlecht und haderte damit, was alles nicht möglich war. In den Bergen gehen, klettern, das war meine Passion, aber ich konnte kaum über 1500 Meter hoch gehen. Wir konnten unsere Reisepläne nicht verwirklichen, da ich nicht fliegen konnte. Für lange Autofahrten war ich zu müde. Und niemand konnte sagen, ob es je besser werden könnte. Am schlimmsten war für mich, dass ich nicht mehr in meine geliebten Berge kommen konnte und nicht mehr klettern konnte so wie früher. Ich vermisste das Gefühl von zufriedener Erschöpfung nach einen Tag Sport. Mein Hausarzt kam auf die Idee, mir ein Cortisonpräparat probieren zu lassen, das bei Höhenkrankheit benutzt wird. Mit ein paar Mal üben kann ich jetzt mit der Bahn auf den Pilatus fahren und kurz Kaffee trinken. Das bedeutet mir sehr viel.
Ich hatte das große Glück, dass ich sehr viele verschiedene Hobbys habe. Ich lese z.B. fürs Leben gern. Auch nähe ich gerne. So habe ich angefangen, für ein Theaterprojekt und für ein Hilfsprojekt in der Ukraine zu nähen. Ich mache das immer nur dann, wenn es mein Körper zulässt und ohne jeglichen Zeitdruck.
Ich bin sehr dankbar, dass ich meinen Mann und meine Freunde habe und sie mir eine grosse Stütze waren und sind. Sie sind flexibel und verständnisvoll, sie schauen zu mir. Sie verstehen, wenn ich mal nicht kann, keine Energie habe und Treffen oder kleine Ausflüge kurzfristig absagen oder umlegen muss. Mein Gotti-Kind, das eine ganz andere Meinung zu Corona als ich hat, ist auch sehr rücksichtsvoll, flexibel und empathisch und wir passen meine Treffen mit ihr und ihren Kindern meiner Befindlichkeit an. Ich bin froh, dass diese Beziehungen Bestand haben, man hört viele traurige Geschichten, wo es anders läuft. Ohne meinen Mann und meine Freunde hätte ich das alles nicht so geschafft.
Und auch sonst habe ich immer wieder Unterstützung erfahren. Vor knapp einem Jahr gab mir meine Coiffeuse einen Bericht über eine Studie aus Zürich zu pflanzlichen Mitteln bei Long-Covid-Patienten. Nach Rücksprache mit meinem Arzt nehme ich jetzt dieses pflanzliche Mittel und es hilft. Ich schaffe deutlich mehr als am Anfang. Auch habe ich alle Auffrischimpfungen gemacht, jedes Mal spüre ich, wie mein Immunsystem davon profitiert und es die Beschwerden lindert.
Mein Leben ist nicht das, was ich mir gedacht oder das, was ich mir gewünscht habe. Es ist OK, und das, was mein Mann und ich zusammen haben, ist auch so schön. Ich bin dankbar für die Fortschritte und stolz auf mich, dass ich nicht aufgegeben habe. Aber immer noch wäre ich lieber in meinen Bergen unterwegs!
Jolanda